Was man mit geschlossenen Augen sieht? Das Geheimnis der Phosphene.
- augenarztonline
- 3. Nov.
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Aktualisiert: vor 3 Tagen
Manchmal, wenn wir die Augen schließen, geschieht etwas Merkwürdiges. Hinter den Lidern tanzen plötzlich helle Punkte, spiralförmige Muster oder bunte Lichtwirbel. Sie bewegen sich, verändern ihre Form, leuchten auf und vergehen wieder. Dieses geheimnisvolle Schauspiel nennt man Phosphene – Lichtwahrnehmungen, die nicht durch äußere Lichtquellen entstehen, sondern in unserem Inneren, im Auge oder im Gehirn selbst.
Was im Auge passiert, wenn es „leuchtet“
Phosphene entstehen immer dann, wenn die Netzhaut oder die Sehrinde auf ungewöhnliche Weise stimuliert wird – mechanisch, elektrisch oder chemisch. Wird zum Beispiel Druck auf den Augapfel ausgeübt, etwa beim Reiben der Augen, kommt es zur mechanischen Reizung der Netzhaut. Dabei öffnen sich winzige Natriumkanäle in den Zellmembranen, was zu einer kurzzeitigen elektrischen Erregung führt. Diese elektrische Aktivität wird über den Sehnerv an das Gehirn weitergeleitet, das den Impuls wie einen echten Lichtreiz interpretiert. Das Gehirn unterscheidet nämlich nicht zwischen Licht, das von außen kommt, und Signalen, die im Inneren des Auges entstehen.
Aber auch andere Reize können Phosphene hervorrufen. Beispielsweise bei einer Migräne mit Aura entstehen sie durch elektrische Wellen, die sich über die Sehrinde ausbreiten. In der Epilepsie können bestimmte Areale des Gehirns spontan erregt werden und farbige Blitze oder geometrische Muster erzeugen. Sogar Sauerstoff- oder Glukosemangel kann das Auftreten von Phosphenen fördern – das erklärt, warum man sie manchmal nach langem Aufstehen, intensiver körperlicher Anstrengung oder bei plötzlichem Schwindel wahrnimmt.
Das Leuchten der inneren Welt
Die Formen und Farben, die man wahrnimmt, sind ebenso vielfältig wie faszinierend. Manche Menschen sehen helle Punkte, andere fließende Schleier, spiralförmige Muster oder kleine Sterne. Die Farben entstehen, weil bei der Erregung auch farbsensitive Rezeptoren in der Netzhaut beteiligt sind. Besonders bei geschlossenen Augen und völliger Dunkelheit wirken die Phosphene intensiv. Wer einmal genau hinschaut (oder besser: hinfühlt), erkennt, wie lebendig die visuelle Wahrnehmung auch ohne äußere Reize ist. Phosphene sind daher nicht nur ein biologisches, sondern auch ein philosophisches Phänomen. Sie zeigen, dass „Sehen“ weit mehr ist als das bloße Empfangen von Licht. Es ist ein kreativer Prozess des Gehirns, das Sinneseindrücke erzeugt, interpretiert und manchmal sogar erfindet. In der Neurowissenschaft gilt das als eindrucksvoller Beweis dafür, wie stark Wahrnehmung und Vorstellung miteinander verwoben sind.
Von kosmischer Strahlung bis Medikamentennebenwirkung
Nicht nur Druck oder Bewegung können Phosphene hervorrufen. Astronauten berichten regelmäßig von Lichtblitzen, die sie selbst bei geschlossenen Augen im All wahrnehmen. Diese entstehen durch kosmische Strahlung, die auf die Netzhaut trifft und dort Reize auslöst – ein einzigartiger Beweis dafür, dass Licht auch ohne sichtbare Quelle wahrgenommen werden kann.
Auch bestimmte Medikamente können ein Leuchten im Blickfeld verursachen. Bekannt ist vor allem Sildenafil (Viagra), das bei einigen Menschen sogenannte „blaue Phosphene“ auslöst. Der Wirkstoff beeinflusst nicht nur die Gefäße, sondern auch ein Enzym in der Netzhaut, das an der Lichtverarbeitung beteiligt ist. Ähnlich wirken Herzmedikamente, wie Digitalis oder Ivabradin, die durch Veränderungen in der elektrischen Aktivität der Nervenzellen Lichtblitze erzeugen können. In der Regel sind diese Erscheinungen harmlos und verschwinden nach Absetzen des Medikaments wieder – dennoch sollten sie stets ernst genommen werden, besonders wenn sie zusammen mit Sehstörungen oder Kopfschmerzen auftreten. Auch neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Durchblutungsstörungen im Gehirn können Phosphene verursachen, wenn die Sehleitungsbahnen gereizt oder geschädigt sind. In solchen Fällen sind die Lichtblitze nicht nur eine kuriose Sinneserfahrung, sondern ein mögliches Warnsignal.
Phosphene oder Nachbilder – ein feiner Unterschied
Oft werden Phosphene mit Nachbildern verwechselt – jenen farbigen Schatten, die bleiben, wenn man in eine helle Lampe geschaut hat. Der Unterschied liegt in der Ursache: Nachbilder sind die Folge einer Überreizung der Netzhaut durch tatsächliches Licht, während Phosphene ganz ohne Licht entstehen.
Wann das Leuchten ein Warnsignal ist
In den meisten Fällen sind Phosphene harmlos – ein kurzzeitiges, faszinierendes Spiel der Nervenzellen. Doch wenn sie plötzlich neu auftreten, häufig wiederkehren oder mit anderen Symptomen einhergehen, sollten sie unbedingt augenärztlich abgeklärt werden. Lichtblitze, die vor allem bei Bewegung des Auges auftreten, können ein Anzeichen für eine Netzhautablösung oder einen Riss sein. Ebenso sollte man aufmerksam werden, wenn dunkle Schatten, Gesichtsfeldausfälle, Sehstörungen oder Kopfschmerzen hinzukommen. Besonders gefährdet sind Menschen mit starker Kurzsichtigkeit, Diabetes, hohem Blutdruck oder nach Augenoperationen. Hier können Phosphene ein Hinweis auf Veränderungen im Glaskörper oder auf Zugkräfte an der Netzhaut sein, die sofort behandelt werden müssen, um das Sehvermögen zu erhalten.
Fazit
Phosphene sind leuchtende Spuren neuronaler Aktivität. In der Regel sind sie harmlos und Ausdruck der enormen Sensibilität unseres Sehsystems. Doch wenn sie plötzlich, stark oder anhaltend auftreten, können sie auch ein Hinweis auf Erkrankungen der Netzhaut oder des Nervensystems sein und sollten ernst genommen werden. Sie sind damit beides zugleich: Ein faszinierendes Naturphänomen und ein wertvoller Hinweisgeber der Augenmedizin. Und wer das nächste Mal im Dunkeln ein inneres Leuchten wahrnimmt, darf ruhig staunen – denn er erlebt, wie das Gehirn uns täuschen kann.



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